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DIE LIPPISCHE SPRACHE
Die lippische Variante des
Deutschen ist heutzutage eine nur noch leicht vom regionalen
Plattdeutsch geprägte Variante der deutschen Hochsprache. Die letzte
Generation, die ausschließlich plattdeutsch sprechen konnte, ist
inzwischen praktisch tot; die Generationen, die überhaupt noch aktiv
plattdeutsch sprechen können, sind am Aussterben (viele Jüngere können
plattdeutsch noch verstehen, aber nicht mehr Unterhaltungen darin
führen).
Darum ist es für einen
Nicht-Lipper durchaus möglich, Tage und sogar Wochen mit einem Lipper
zu verbringen, ohne Abweichungen von der Hochsprache festzustellen.
Grammatik und Aussprache sind fast nicht zu unterscheiden. Aber
irgendwann wird der Lipper wie selbstverständlich ein Wort verwenden,
das eben nicht zur Hochsprache gehört, und dann ist die Verwirrung
erfahrungsgemäß groß. Darum hier ein kurzer Sprachführer des
Lippischen, zugegeben mit einem ausdrücklich westlippischem Einschlag.
Lipper aus dem Kalletal oder Detmold (oder aus dem umliegenden
Ostwestfalen) mögen leicht andere Wörter verwenden.
GRAMMATIK
Mir ist derzeit nur ein einziges grammatikalisches Phänomen bekannt,
dass allein im Lippischen anzutreffen zu sein scheint: Die Ersetzung
eines Präpositionalgefüges mit einem Pronomen, das eine Person
beschreibt, durch die entsprechende Präposition und das vorangehende
Suffix -ah.
"Hä?" - Okay, ein Beispiel: Nehmen wir den Satz "Er will mit seinem Ausschlag heute zum
Arzt gehen." Wenn dem Angesprochenen bereits bekannt ist, dass
es sich um einen Ausschlag handelt, kann der Satz im Hochdeutschen
bekanntermaßen verkürzt werden zu:
"Er will damit zum Arzt gehen." Der Lipper (und der faule
Hochdeutschsprecher) wird die Wörter verschleifen: "Er willah mit zum Arzt gehen."
Das Besondere am Lippisches ist nun, dass dasselbe funktioniert, wenn
es nicht um einen Ausschlag geht, sondern beispielsweise um die
Schwester des Sprechers. "Er will
mit seiner Schwester zum Arzt gehen." wird im Hochdeutschen
verkürzt zu "Er will mit ihr zum
Arzt gehen.", im Lippischen aber wieder zu "Er willah mit zum Arzt gehen."
Das funktioniert im Übrigen auch, wenn das Verb und die Präposition
getrennt werden: "Er willah nicht
mit zum Arzt gehen." kann sich ebenfalls genauso gut auf eine
Person wie auf eine Sache beziehen. ( Da
und die Präposition werden übrigend grundsätzlich voneinander getrennt,
was aber auch andernorts zu beobachten ist.)
VOKABULAR
Lippisch
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Hochsprache
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Beispiele,
Anmerkungen
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anbucken
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sich anlehnen
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Im Gegensatz zur
hochsprachlichen Entsprechung ist anbucken
nicht reflexiv!
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ausklamüsern
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sich ausdenken, aushecken
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Beulchen, das
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Bonbon
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Blag, das
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unartiges, ungezogenes Kind
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Aussprache: "Blaach"
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Bockermann, der
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großer Zeh
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Böhmann, der
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Klumpen festen Nasensekrets
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Das -öh- klingt wie dänisches ø.
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Bömsken, das
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Bonbon
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Bollen, der
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Hühnerschenkel
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Botte, der
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Kind
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abwertend gemeint
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bullerich
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Kleidung:
(zu) weit
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dafür: Da
nicht für.
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Gern geschehen.
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dameln
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herumspielen; seltener
auch: herumtrödeln
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Dahlschlag:
einen Dahlschlag kriegen
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etwas kaum fassen können,
zu spinnen glauben
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Beispiel: "Ich krieg'n Dahlschlag - die
Oerlinghauser haben ihre Bürgermeisterin wiedergewählt!"
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därbe
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sehr, extrem
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dölmern
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scherzen; sich laut oder
ungeschickt verhalten
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döppen
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jemanden
untertauchen
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düde
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sehr, stark, heftig
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Dutten: inne
Dutten
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kaputt, entzwei
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eile
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pur
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Adverb, das eigentlich zum
Verb essen treten kann: "Nutella
kann man auf Brot schmieren, aber auch
hervorragend eile
essen."
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enttüddern
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entwirren, ordnen
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erdümpen
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die Luft nehmen; erdrosseln
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Fitzen:
inne Fitzen
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in Ordnung; erledigt,
vollendet
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gewahr werden
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erfahren
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hadder
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heftig, stark
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hadder kann man nicht deklinieren;
wenn das nötig wird, wird üblicherweise düde verwendet: "Das ist ganz
schön
hadder, was die uns da in Rechnung stellen. Das ist ein düder Betrag."
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hönn?
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hä? wie? was?
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Hucht, die
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Staude
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Huckel, der
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kleine Anhöhe, Hügel;
Unebenheit, Schlagloch
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Kärr!
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Mann!
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Kawentsmann, der
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großes Ding, große Person
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kladerig
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Person:
unwohl;
Pflanze: vertrocknet;
Wetter:
kurz vor oder während Schauerwetter
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klöddern
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rasseln, klappern; lose
sein, ein rasselndes Geräusch verursachen
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ein lautmalerisches Verb,
das eigentlich selbsterklärend ist
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Klümpchen, das
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Bonbon
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klüngeln
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trödeln
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Kluten, der
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Erdklumpen
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Köcker, der
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Matsch, Schlamm; Brei
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kodderig
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übel, unwohl, schlecht
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bezieht sich immer auf die
Verdauung: "Mir ist kodderig" heißt "mir ist übel".
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krömpelig
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zerknittert, übereinander
geschoben, in Unordnung
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vor allem in Bezug auf
Kleidung, Decken und alles, was aus Stoff gemacht ist
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Kump, der
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Topf, Schüssel; Toilette
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lütt(k)
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klein
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Mittag, das
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Eintopf
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Nöckelherm
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Miesepeter
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nöckelig
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schlecht gelaunt
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nöckeln
|
schlecht gelaunt sein
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Packe:
im Packe sitzen
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bevor stehen
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Wenn einem etwas im Packe
sitzt, dann steht es einem allerdings nicht nur bevor; es ist auch
unangenehm, und man macht sich ständig Gedanken darum.
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Patt, der
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Pfad
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Patt: sich
auf'n Patt machen
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aufbrechen
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Peck, der
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klebriges Zeug; Klebstoff
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pecken
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klebrig sein; haften
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peckerig
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klebrig
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pingeln
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an der Haustür klingeln
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Pinöckel, der
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Haken, Pinn, Poller
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Im Prinzip ist jede
stabähnliche Form, die aus einer Fläche herausragt, ein Pinöckel.
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pladdern
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regnen
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plempern
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etwas verschütten
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plempern ist intransitiv: "Oh Mist, ich hab geplempert."
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plürren
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etwas verschütten
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auch plürren ist intransitiv
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Pölter, der
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Nachthemd; Schlafanzug
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Pömpel, der
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Pfahl, Stumpf, Poller
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Pöter, der
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Hintern, Allerwertester, Po
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Pöter ist ein respektabler
Ausdruck und keinesfalls mit Arsch
zu übersetzen
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Prömmel, der
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Bündel, Bund; Gewirr
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prömmeln
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(zusammen)stopfen
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pülskern
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plätschern, blubbern
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Rabatte, die
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Beet
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rammdösig
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wirr im Kopf, überfordert
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rongstern
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im Stuhl
hin- und herrutschen,
im Bett sich hin- und herwälzen
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sabbeln
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reden, tratschen
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sprich: "ßabbeln"
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schlickern
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etwas Süßes essen
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schlickern kann transitiv oder
intransitiv sein
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schlindern
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stehend über Schnee
oder Eis rutschen
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Schluffen, der
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antriebsschwacher Mensch
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schlüren
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schlendern, bummeln;
schleppen, tragen
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schlüren lassen
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Projekt:
vernachlässigen, nicht ernst nehmen
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schrebbelig
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schrill, grell
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beschreibt fast immer eine
Frauenstimme
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Schüppe, die
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Schaufel, Spaten
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sitzen:
dabei sitzen
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sich beschäftigen,
besessen sein
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Am besten ein Beispiel: "Wenn du solche Angst hast, geh sofort zum
Zahnarzt und nicht erst Montag, sonst sitzt du da das ganze Wochenende
bei."
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sobutz
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sofort; auf Anhieb
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sich sputen
|
sich beeilen
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stickum
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schweigsam, still, leise;
heimlich
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sünnack
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wählerisch
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sprich: "ßünnack"
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süppeln
|
trinken, nippen
|
sprich: "ßüppeln"
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tengern
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schnell, rasch
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tüddelig
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vergesslich, verwirrt;
senil
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Tüdder:
in'n Tüdder
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verworren, in Unordnung,
durcheinander
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kommt vor allem bei
Drachenschnüren, Garn, Weihnachtsbaumkerzen vor
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Trecke, die
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Schublade
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Tuck, der
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zeitlich:
ein bisschen, räumlich: ein kleines Stück |
Beispiel: "Der Schrank passt nicht hinter die Tür -
er ist'n Tucken zu tief." |
usselig
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unsauber, dreckig; wirr,
unordentlich, unübersichtlich
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verklüngeln
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einen Gegenstand:
verlieren, verlegen
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Wer etwas verklüngelt, ist
daran auch noch irgendwie selber schuld.
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vertüddern
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in Unordnung bringen,
verheddern
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wallacken
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einen Menschen:
schlagen, hauen, einprügeln auf
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weg
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her
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Beispiel: "Du bist also
der Neue. Wo kommst du denn weg?" weg
reimt sich übrigens mit dem Fluss Lech.
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zugange sein
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beschäftigt sein
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AUSSPRACHE
Auch hier ist das Lippische sehr nahe am Hochdeutschen. Einige
Ausnahmen gibt es jedoch: g
klingt am Anfang einer Silbe oft wie hochdeutsches j, am Ende einer Silbe meistens wie ch in "Licht". Umgekehrt klingt bei
manchen Leuten j noch nach
hochdeutschem g; das lässt
aber inzwischen stark nach.
Besonders ungern hat der Lipper den Buchstaben r, der überaus häufig zu einer Form
von a mutiert: In Wörtern wie
"Durst" und "Herbst" wird es ein beiläufiger, schnell übergangenes a: "Duast", "Hearbst". Am Ende eines
Wortes wie "Lipper" wird es zum tragenden kurzen Vokal: "Lippa".
Ein anlautendes s wird
überraschend oft scharf ausgesprochen - eine Annäherung an "sabbeln"
beispielsweise erreicht man, wenn man "passabel" sagt, aber das "pa-"
weglässt (und das a verkürzt).
Die in Norddeutschland weit verbreitete Verschleifung von Wörter macht
auch der Lipper mit: du nach
einem Verb in der zweiten Person Singular wird praktisch immer zu -e: "wirste", "gehste", "machste".
Nach Präpositionen passiert ähnliches, so dass aus "mit dem" bisweilen
"mippm" wird.
Eine besondere Eigenheit ist noch die Betonung, die unverhältnismäßig
oft auf der ersten Silbe stattfindet - besonders bei Ortsnamen, etwa Asemissen, Bechterdissen, Währentrup, Oerlinghausen, Barkhausen, Menkhausen, Dahlhausen, Evenhausen, Kachtenhausen, Hovedissen, Dörentrup, usw.
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